Gesellschaftliche Herausforderungen machen Innovationen notwendig, auch wenn es um das Eigentum an Unternehmen geht – Unternehmerinnen und Unternehmer fordern eine neue Rechtsform
Soziale Marktwirtschaft stärken
Die europäische Idee der Sozialen Marktwirtschaft muss zukunftsfähig bleiben. Das wird angesichts der ökonomischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen, denen wir uns heute gegenüber sehen, immer deutlicher. Die Corona-Krise wirkt dabei wie ein Katalysator und macht uns die Dringlichkeit dieser Herausforderungen bewusst. Gleichzeitig steht die Soziale Marktwirtschaft im Systemwettbewerb zwischen zentralistischen Staatswirtschaften und dem vom Shareholder-Value getriebene Kurzfrist-Kapitalismus unter Druck. Wir, die hier unterzeichnenden Unternehmerinnen und Unternehmer, Gründerinnen und Gründer, Ökonominnen und Ökonomen, Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler und Politikerinnen und Politiker, rufen die Bundesregierung auf, gemeinsam für die Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft eine gesetzliche Innovation auf den Weg zu bringen: eine Rechtsform für Verantwortungseigentum.
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Verantwortungseigentum ermöglichen
Das in den USA als große Revolution verkaufte neue Unternehmensverständnis, Unternehmen dienten auch einem “Purpose” und nicht allein dem Shareholder-Value, ist hierzulande für viele Eigentümer von familiengeführten und mittelständischen Betrieben lange schon gelebte Tradition. All diese Unternehmerinnen treibt an, Probleme zu lösen, Unmögliches durch neue Erfindungen möglich zu machen und gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Sie sind intrinsisch motiviert und nicht primär durch die Hoffnung auf persönliche Vermögensmehrung. Gewinne sind für sie Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck.
Wer mit einem solchen Unternehmens- und Eigentumsverständnis wirtschaftet, kann sich mit Fug und Recht als Verantwortungseigentümerin bezeichnen. Diese Form von Unternehmenseigentum ist das Rückgrat der Sozialen Marktwirtschaft und schafft Unternehmen, die langfristig denken und ihre Mitarbeiter auch in Krisenzeiten nicht im Stich lassen. Doch viele Unternehmerinnen, die dieses Leitbild ernst nehmen und es in der DNA ihres Unternehmens – im Eigentum – auch unabhängig von einer Familie verankern wollen, stoßen an Grenzen: ihnen fehlt eine passende Rechtsform.
Bedarf bei Familienunternehmen
Traditionell wird Verantwortungseigentum von Familienunternehmen gelebt, bei denen sich die Eigentümer mehr als Treuhänder ihrer Unternehmen und deren langfristiger Entwicklung begreifen, denn als Investoren.
Allerdings macht die zunehmende Individualisierung der Lebensentwürfe generationenübergreifende Unternehmensführung immer unwahrscheinlicher. 56 Prozent der deutschen Unternehmen können laut einer Studie der KfW (1) die Nachfolge nicht mehr über die Familie regeln.
Hier muss Verantwortungseigentum auch unabhängig von der leiblichen Familie institutionalisiert werden können: indem das Unternehmen nicht in der Blutslinie, sondern an Werte- und Fähigkeitenverwandte, die das Unternehmen als Treuhänder auf Zeit führen, weitergegeben wird. Viele große Unternehmen wie Bosch, Zeiss oder Mahle praktizieren genau das schon seit Generationen erfolgreich – aber die von ihnen genutzten Stiftungsstrukturen schrecken mittelständische und junge Unternehmen durch ihre Kosten und Komplexität ab und verhindern, dass natürliche Personen weiterhin Eigentümer bleiben.
Bedarf bei Start-Ups
Mehr als die Hälfte aller Start-Ups werden laut einer pwc Studie (2) von Menschen gegründet, die keinen Exit und schnelles Geld als Ziel verfolgen. Sie wollen die Welt ein Stück weit besser machen. Gründerinnen von Unternehmen wie Ecosia, Europas größter unabhängiger Suchmaschine, vom Kondomproduzenten Einhorn oder vom Weltmarktführer für digitale Musikproduktion, Ableton, sehen ihre Unternehmen nicht als eine Ware, die sie verkaufen könnten. Sie wollen Bosch und anderen folgen und Verantwortungseigentum auch rechtlich verbindlich machen. Nur so lässt sich zunehmend werte-sensiblen Mitarbeitern und Kundinnen auch familienunabhängig ein glaubhaftes Versprechen geben, dass
1. das Unternehmensvermögen nicht „versilbert“ und Gewinne nicht von der nächsten Generation von Treuhändern personalisiert werden;
2. die Eigentümerschaft in Form der Stimmrechte immer bei Menschen verbleibt, die mit dem Unternehmen verbunden sind.
Das Problem: fehlende Rechtsform
Doch genau um diese Versprechen zu geben, fehlt heute die geeignete Rechtsform. Die bewährten, aber 120 Jahre alten Rechtsformen der GmbH oder AG machen aus Unternehmen – juristisch gesehen – persönliches Vermögen. Eine Ware, die verkäuflich ist. Vermögen, das ausschüttbar ist. Wer als Unternehmer nicht nur ein anderes Verständnis vorleben, sondern auch unkompliziert rechtlich verankern will – entweder um die Nachfolge besser zu regeln oder Mitarbeiterinnen und Nutzern das Versprechen zu geben, dass das Unternehmen selbstständig bleibt und das Vermögen dem Unternehmenszweck dient – der steht heute oft mit leeren Händen da.
Der nächste Schritt: Gesellschaft in Verantwortungseigentum
Durch eine Ergänzung unseres Gesellschaftsrechts könnte eine Gesellschaft in Verantwortungseigentum auf den Weg gebracht werden. Sie sollte sich an der bewährten GmbH orientieren, aber
1. eine Vermögensbindung (Asset-Lock) vorsehen (wie bei einer Stiftung) und
2. erlauben, die Anteile treuhänderisch von Generation zu Generation einer Werte-Familie zu übergeben.
Keine andere Rechtsform bietet heute diese Möglichkeit für junge und mittelständische Unternehmen. Die gGmbH steht nur gemeinnützigen Unternehmen offen. Die Genossenschaft erlaubt, wie die GmbH, das Versilbern des gesamten Genossenschaftsvermögens zugunsten der Genossen und sieht einen für Gründerinnen oft problematischen „Demokratiezwang“ vor. Stiftungskonstrukte können nur von großen Unternehmen umgesetzt werden, denn sie kosten, allein was die Aufsetzung betrifft, oftmals mehrere hunderttausend Euro und sind teuer im Unterhalt. Laut einer Allensbach-Studie sind zwar 23 Prozent der großen Familienunternehmen an Modellen mit gemeinnützigen Stiftungen interessiert, aber weniger als ein Prozent setzt sie um – weil diese Lösungen oft als inflexibel und bürokratisch wahrgenommen werden.
Chance für Deutschland
Deutschland hinkt bei der Etablierung angemessener Rechtsformen für Verantwortungseigentum derzeit hinterher. Dänemark hat schon seit Jahrzehnten entsprechende Gesetze für Unternehmen in Verantwortungseigentum. Inzwischen sind diese Unternehmen dort ein prägender Wirtschaftsfaktor. Sie stehen für gut die Hälfte aller dänischen Forschungs- und Entwicklungsausgaben und tragen durch die „Unverkäuflichkeit“ ihrer Stimmrechte zur Krisenresilienz der dänischen Wirtschaft bei.
Eine Rechtsform für Unternehmen in Verantwortungseigentum wäre auch für Deutschland ein sozialer und ökonomischer Innovationsmotor. Sie würde familienunabhängig die Selbstständigkeit der Unternehmen und damit Wettbewerb und unsere dezentrale Soziale Marktwirtschaft stärken. Gerade Krisenzeiten wie die aktuelle brauchen eine solche Stärkung der Prinzipien unserer dezentral organisierten Marktwirtschaft! Eine solche Rechtsform würde allein den zehntausenden ungeklärten Unternehmensnachfolgen, die innerhalb der nächsten zwei Jahre anstehen, und den tausenden Startup-Gründern eine neue Rechtsform-Alternative bieten und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Unternehmen mit steuerlichem Hauptsitz in Deutschland auch in Krisen nicht in den Ausverkauf gehen. Die Politik hätte alle Möglichkeiten, diese Rechtsform für Verantwortungseigentum einzuführen. Wir rufen sie dazu auf, es – jetzt – zu tun!
[2] pwc, 2017. Start-up-Unternehmen in Deutschland 2017. Verfügbar unter: https://www.pwc.de/de/startups/startup-studie-2017.pdf